Über Zufälle, Zweifel & Ungewissheiten
Ohne Titel, 2018
Öl auf Leinwand über Karton, 24 x 18 cm
Im Oktober 1994 begann ich mit einem Studium der Malerei an der HBK Saar in Saarbrücken – ich hatte die Vorstellung, erst mal zwei Semester lang zu malen & zeichnen. So oft & wann immer es geht. Um dann nach einem Jahr weitere Entscheidungen treffen.
Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich, soweit ich mich erinnern kann, immer schon gezeichnet. Mal mehr, mal weniger. Als Kind, als Jugendlicher, in der Schule – meistens in Kunst fernen Fächern. Latein, Mathematik, Religion. Irgendwie bin ich dabei geblieben, bei der Zeichnerei. Habe einfach nie aufgehört. Während meiner Zeit im Zivildienst zeichnete ich wenig. Aber danach wieder um so mehr.
In der Malerei hatte ich mich bis zum Beginn meines Studiums an der HBK selten versucht; die Versuche erschienen mir dilletantisch, stümperhaft & nicht sehr befriedigend. Ich wilderte in unterschiedlichen Gefilden, ohne zu wissen, was ich da überhaupt tat & was ich überhaupt wollte.
Meine Eltern schenkten mir zum dreizehnten Geburtstag einen Kasten mit Ölfaben, eine Staffelei & ein paar Malpappen. In der Küche unserer engen Mietwohnung malte ich die ersten Bilder. Galoppierende Pferde, Stillleben & ein missglücktes Selbstporträt. Es roch nach Terpentin & Leinöl & irgendwann war es meiner Mutter zuviel, weil das Essen angeblich nach Terpentin schmeckte. Außerdem war trotz Zeitungsabdeckung immer der Boden mit Farbe zugesaut. So verschwanden die Utensilien irgendwann im Keller.
Bevor ich an der 1994 HBK begann, studierte ich Grafik-Design an der FH in Saarbrücken. Eine Kunsthochschule gab es noch nicht. Und ein Studium außerhalb des Saarlandes zog ich irgendwie nicht in Betracht. Außerdem war ich sowieso ahnungslos.
Wenn es nach meinen Eltern & dem Arbeitsamt gegangen wäre, hatte ich drei Optionen:
1. eine Banklehre
2. eine Lehre zum Druckvorlagenhersteller
3. eine Lehre zum Backwarengestalter
Grafikdesign war laut meiner Arbeitsberaterin auch brotlose Kunst & Kunst in einer anderen Stadt außerhalb des Saarlandes Zeitverschwendung, weil noch brotloser als brotlos. Kam also überhaupt nicht in Frage. Zugegebenermaßen hatte ich zu diesem Zeitpunkt auch noch keinen Plan von irgendwas. Nur eines war klar: Die drei Vorschläge meiner Eltern & meiner Arbeitsberaterin fand ich inakzeptabel. Ich machte mein Fachabitur & begann ohne Plan ein Grafikstudium – übrigens damit verbunden die sagenumwobene Grundlehre bei Prof. Oskar Holweck. Aber das ist eine andere Geschichte.
Im Laufe des Studiums erkannte ich, dass ich weder als Grafiker & Sklave in einer Werbeagentur noch als selbstständiger Grafiker & Einzelkämpfer arbeiten wollte – trotz eines nicht von der Hand zu weisenden Talentes, was die Illustration & das Layouten betraf.
Ich unterbrach das Studium für ein Jahr, in dem ich nur zeichnete, aquarellierte & gelegentlich auch versuchte zu malen.
Es zog mich immer mehr zur freien Zeichnung & zur Malerei – wenn ich auch nicht genau wusste, wie ich mir das Leben eines Künstlers überhaupt vorzustellen hatte & was man da von morgens bis abends so tut. Außer halt malen & zeichnen.
Denn auf die zeitgenössische Kunst stieß ich nämlich vergleichsweise spät in meinem Leben. Museumsbesuche gehörten in unserer Familie nicht zum sonntäglichen Bildungsprogramm. In meiner Jugend hatte ich Kontakt mit dem Impressionismus, dem Expressionismus, Salvatore Dali & Picasso. Der Kunstunterricht in den Schulen, die ich besuchte, fiel meistens aus – außer während der ersten drei Jahre auf dem Gymnasium bei Erwin Steitz, der mittlerweile sogar mein Kollege ist. Wenn Kunstunterricht darüberhinaus je stattgefunden hat, kann ich mich kaum daran erinnern & hat mich in keinster Weise geprägt oder beeinflusst. Die Kunsttheorie beschränkte sich auf Romanik, Renaissance, Barock. Darüber hinaus war alles weitere ein schwarzes Loch. Pop Art war bunt. Vielleicht noch Beuys – ohne wirklich genaueres verstanden zu haben. Ich hörte von Butter- & Fettecken sowie von unkundigen Putzfrauen gereinigte Badewannen.
Ich glaube, es war so um 1980 – ich besuchte mit Freunden während eines kurzen Parisaufenthaltes das Centre Pompidou. Es war eine Begegnung der dritten Art, die mich verwirrte. Allein die Architektur erschien mir wie eine Art Raumschiff von einem anderen Planeten, gefüllt mit Dingen, die ich noch nie gesehen hatte & auch nicht so richtig einordnen konnte. Zeitgenössiche Kunst. Es war die Zeit vor meinem Design-Studium, während meines Zivildienstes.
Konzepte oder gar eine höhere Vision hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine, aber nach dem ich das Grafik-Studium abgeschlossen hatte, bewarb ich mich an verschiedenen Hochschulen & Akademien um einen Studienplatz für Freie Kunst. Nach einigen Jahren & vielen Absagen („Wir brauchen hier junge, formbare Menschen“ oder: “Machen Sie doch Ihr Ding allein, wozu brauchen Sie noch eine Akademie?“), in denen ich witzigerweise überwiegend als Illustrator & Designer für unterschiedliche Agenturen & eigene Kunden in Saarbrücken & Stuttgart arbeitete, klappte es dann in Saarbrücken an der HBK Saar (nachdem ich drei Jahre zuvor schon einmal abgelehnt worden war).
Das Studium an der HBK in der Malklasse von Bodo Baumgarten bedeutete vor allen Dingen eines: Ich hatte einen Arbeitsplatz, „mein“ Atelier, von morgens bis nachts malte ich Bild um Bild. Während der Semesterferien waren sowohl Atelier als auch die HBK verwaist. Keine Professoren, kaum Studenten. Ein riesiges Atelier für mich allein. Das war ziemlich cool. Ich hängte immer alle Bilder der Kommilitonen ab & hatte drei Monate meine Ruhe. Während meiner Jahre als Freelancer hatte ich Geld gespart; damit konnte ich, wenn ich einigermaßen bescheiden lebte, ungefähr drei Semester ohne Job überleben. Ein Grundstudium bei Prof. Sigurd Rompza blieb mir Gott sei Dank erspart. Über Baumgartens Arbeit war mir vor dem Studium übrigens wenig bekannt. War aber auch egal, ich wollte sowieso nur malen & Kurse belegte ich aussschließlich nach Interessenlage. Nach der Zwischenprüfung hielt ich mich nur noch im Atelier auf & malte. Allmählich mutierte ich zum Faktotum in der Malklasse.
Zu Beginn des siebten Semsters plante ich den Ausstieg aus dem Studium. Ich nahm noch am Rundgang zum Ende des Wintersemesters teil & flüchtete dann ohne Abschluss in mein eigenes Atelier.
Das war eine gute Entscheidung. An der HBK wurde es für meine Bedürfnisse immer enger, außerdem wollte ich in Ruhe arbeiten, was im Maleratelier der Hochschule schon immer mit Schwierigkeiten verbunden war. Es war eine schöne Ateliergemeinschaft & eine fruchtbare Zeit, aber oft laut & chaotisch.
Außerdem hatte ich schon während meiner Zeit an der HBK viel Glück. Einzelausstellungen in kleinen, eher unbedeutenden Galerien, Förderstipendien, Kunstpreise, Bilderverkäufe, Bilderankäufe, Kunst-am-Bau-Projekte. Es war Zeit für mein eigenes Atelier. Für diesen Schritt belohnten mich Bodo & die HBK offiziell & per Urkunde mit dem Titel „Meisterschüler“. Ich war der erste Meisterschüler bei Bodo Baumgarten & der einzige Meisterschüler in den Annalen der HBK ohne Diplom.
Nach wie vor hatte ich keine Strategie & agierte eher spontan & aus dem Bauch. Meistens rief irgendjemand an, schlug mich für irgendein Projekt vor oder irgend jemand sprach ohne mein Wissen eine Empfehlung aus. Gut, ich bewarb mich um Ausstellungen in Kunstvereinen, städtischen Galerien & anderen Institutionen außerhalb des Saarlandes. Was gut funktionierte & funktioniert.
Ob Kunst-am-Bau-Projekte, kleinere regionale Kunstpreise oder auch Bilderverkäufe – rutschte allerdings eher zufällig als geplant in das Malerbusiness. Nein, es ist keine Koketterie – bis zum heutigen Tag existiere als Künstler ich nur wegen der andauernden Verkettung von glücklichen Umständen. Als Grafiker arbeitete ich irgendwann nicht mehr. Hin & wieder führe ich Auftragsarbeiten aus. Meistens Porträts.
Anfangs beteiligte ich mich an Wettbewerben oder suchte Kontakt mit Galerien außerhalb der Region. Oder ich bewarb mich um ein Stipendium, um einen Kunstpreis. Hat auch mal funktioniert. Mittlerweile verschwende ich meine Zeit nur noch selten mit solchen Dingen. Verschicke kaum Bewerbungen, schon gar nicht an Galerien. Kunstpreise interessieren mich nicht mehr. Da öffne ich lieber ein Flasche Wein & betrachte eine schöne Landschaft. Oder fange ein neues Bild an. Oder gehe mit meiner Frau spazieren. Ich bin kein guter Netzwerker. Schon gar kein Geschäftsmann. Oder gar ein guter Verkäufer.
Immer wieder muss ich, wie die meisten meiner Kollegen, neue Strategien finden, um mein Überleben zu sichern. Ich war noch nie im Leben irgendwo angestellt.
Malerei, Zeichnung & unzählige andere Tätigkeiten, über die ich lieber den Mantel des Schweigens hänge. Oder vielleicht doch mal ein Buch schreibe? Es ist ein Mäandern durchs Leben, ein Zickzack, machmal ein Stolpern & Holpern, ein Hinfallen & wieder Aufstehen – alles andere als ein gradliniger Weg. Natürlich kostet diese Art zu Leben viel Kraft & Energie, ich bin ja auch noch Ehemann & Vater, verbringe außerdem viel Zeit mit Einkaufen, mit Kochen & mit anderem Haushaltsdingenskram. Die Organisation des alltäglichen Lebens.
Vor einem Jahr war ich vertretungsweise für zwei Monate Lehrer an einem Saarbrücker Gymnasium. Nicht, dass ich das unbedingt wollte – man kam auf Umwegen auf mich zu – & nicht, dass es eine schlechte Erfahrung gewesen wäre. Die Kinder waren alle sehr lieb & manche sind mir in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen. Aber ich bin froh, mich vor über zwanzig Jahren gegen diesen Job entschieden zu haben. Lehrer ist man, weil man dazu berufen ist. Künstler wird man, weil man malt oder zeichnet oder andere merkwürdige Dinge tut. Man tut diese Dinge & denkt lieber nicht darüber nach, warum man sie tut. Vielen anderen Menschen erscheinen diese Tätigkeiten sinnlos. Sie arbeiten, verdienen Geld & genießen dann ihr verdientes Geld, wenn sie Feierabend haben oder fahren damit in Urlaub. Oder gehen ihren Hobbys nach. Hobbys habe ich keine.
Ich renne, so oft es geht, ins Atelier. Manchmal denke ich dort nur über meine Arbeit nach. Schaue auf weißes Papier & überlege.
Ich führe kein Leben als Malerfürst, falle nicht aus der Rolle durch übermäßigen Kokainkonsum, aber ich trinke außerordentlich gerne Wein & Pastis, gelegentlich einen Whisky, je rauchiger, je torfiger desto lieber. Aber immer in Maßen. Ich glaube, kein Alkoholiker zu sein.
Ich fühle mich gesund, allein meine Hüften quälen mich manchmal, trotzdem ich noch sehr jung an Jahren bin.
Ich möchte meine Arbeit (& ich sage jetzt nicht Kunst!) machen. Malerei & Zeichnung. Nicht mehr & nicht weniger. Mich erfüllt das mehr als genug. Die „Kunst“ erscheint mir oft sehr weit weg, noch weiter weg ist das „Betriebssystem Kunst“ & der sog. Diskurs. Ist mir fast egal. Gerade mal so viel, dass ich weiß, wie andernorts der Stand der Dinge ist.
Erfolg ist eine zweischneidige Sache. Manch ein Kollege oder manch eine Kollegin hat sich in jungen Jahren viel vorgenommen. Auf sogenannten Erfolg fixiert. “Ich will berühmt werden!“ Am besten in Berlin. Was bedeuted Erfolg eigentlich? Bedeuted es, berühmt zu sein & viel Geld zu verdienen? Bedeutet es, viele fleißige Assistenten zu haben, die die Bilder malen? Eine Sekretärin anzustellen & sich nur noch um die schönen Dinge zu kümmern? Hat man vielleicht ein Atelier in Berlin & eines in New York?
Natürlich, für einen kurzen Moment hofften die meisten damals in unserem Atelier an der HBK – ich kann mich davon nicht ausnehmen – allein vom Verkauf ihrer Bilder & Artefakte zu leben. Wir hofften auf einen guten Galeristen, vielleicht auch mehrere, die uns das Geschäftliche aus der Hand nehmen würden. Man ginge täglich ins Atelier, malte seine Bilder & bräuchte sich um nichts mehr zu kümmern.
Läuft! Wie man so sagt zur Zeit.
Aber so läuft das nicht. Nicht in den wenigsten Fällen. Es ist auch normal, dass es nicht so läuft. Künstler, die von ihrer eigenen Arbeit leben, vom Verkauf ihrer Arbeiten, sind die Ausnahmen. Die sind äußerst selten. Zufall, wenn man einen trifft. Man trifft auch keine Autoren, Schauspieler oder Musiker, die von den Früchten ihrer Bestseller, ihrer Arthousefilme oder ihrer Lieder leben. Was nicht heißt, dass in manchen Jahren der Verkauf nicht sehr gut funktioniert, überraschend gut. Um dann aber in einem anderen Jahr überraschend scheiße zu laufen.
Seit vielen Jahren unterrichte ich an der HBK in Saarbrücken das Zeichnen. Diese Arbeit finde ich sehr inspirierend. Ich lerne sehr viel darüber, wie Menschen Dinge betrachten & wie sehr das Betrachten & das Erzählen, nämlich das Gucken, Zeichnen, voneinander abweichen. Dann versuchen wir gemeinsam, diese beiden Dinge deckungsgleich zu machen (obwohl die linkischen, unabsichtlichen Abweichungen oft die interessanteren Ergbnisse produzieren). Um dann vielleicht irgendwann eine eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln & ganz bewusst mit Abweichungen zu gestalten. Um vielleicht über die Zeichnerei die Dinge oder die Welt besser zu verstehen, zu begreifen. Jedenfalls hat mir das immer wieder geholfen. Dazu muss man das genaue Hingucken lernen, immer wieder. Vielleicht gucke ich dann auch in anderen Bereichen genauer hin. Ich glaube das einfach. Das ist mein Credo.
Oft frage ich, wenn ich die Zeichnung einer Studentin oder eines Studenten betrachte: „Ist das Zufall oder Absicht, was da entstanden ist?“ Ich glaube an den Zufall. Beim Zeichnen allerdings sollte man sich nicht nur auf den Zufall verlassen.
Der Lehrauftrag bereichert mich; ich lerne sehr viel während der Zeichenstunden. Über die Art, wie junge Menschen ticken & wie sich die Kunst & das Denken über die Kunst verändern. Vor allen Dinge erfahre ich viel über mich & meine Arbeit.
Das Herstellen von künstlerischen Artefakten ist übrigens tatsächlich oft brotlos. Da hatte die Arbeitsberaterin recht. Berühmt, reich an Geld & Erfolg sind immer die anderen. Obwohl es immer wieder Jahre gibt, in denen ich sehr viel verkaufe oder auch mal ein größeres Kunst-am-Bau-Projekt einen warmen Geldregen für die nächsten Monate bringt – im Jahr danach läuft dann wieder gar nichts. Das ist fast schon Gesetz.
Ich denke oft über Erfolg nach. Erfolg heißt nämlich nicht nur fette Verkäufe, einen fetten Galeristen & fette Kohle. Im Gegenteil. Je länger ich als Künstler unterwegs bin (oder manchmal sehr umständlich versuche, unterwegs zu sein), desto schwieriger wird es, Erfolg zu definieren. Eine Definition könnte lauten: Wie gut, dass ich noch unterwegs bin. Ich kann meine Arbeit machen. Bilder malen. So oft es geht bin ich im Atelier. Es ist doch überhaupt ein Glück, dass das seit Jahren funktioniert, ohne dass ich wirklich dafür eine Erklärung habe.
Künstler wie Richter, Baselitz oder Jeff Koons sind glückliche Gewinner in der großen Kunstmarktlotterie. Außerdem gnadenlose Selbstvermarkter & bestimmt auch gute Kaufleute. Und: sie habenihre Karriere nicht in Saarbrücken gestartet. Ich bin ja sogar im Saarland geblieben (was vielleicht doch nicht die verkehrteste Entscheidung war).
Es gibt übrigens mehr Galeristen, die nicht oder kaum von ihrer Tätigkeit als Galerist leben, als man vermutet. Eine Galerieausstellung ist schön & gut, aber nicht immer der finanzielle Burner. Kleine Galerien verkaufen an Kunstinteressierte, vielleicht mal an eine Bank oder an kleinere Unternehmen. Richtige Sammler, ich meine wirklich richtige Sammler, trifft man da selten.
„War eine schöne Ausstellung, ich verstehe nicht, warum niemand was gekauft hat.“ Aber es gibt auch Ausnahmen.
Nur ein Bruchteil der Galerien bewegt sich auf internationalem Parkett, ist regelmäßig auf Messen anzutreffen & kümmert sich um einen kleinen, erlauchten Kreis von Künstlern. Nicht wenige Galerien versuchen sich gelegentlich auf kleineren Messen & oft ist es ein Verlustgeschäft. Bei vielen Galeristen ist es ähnlich wie bei vielen Künstlern: Ihr Herz brennt für die Kunst, aber sie sind keine Kaufleute.
Ich gehe übrigens nicht nur ins Atelier wenn ich Lust habe. Ich gehe auch ins Atelier, wenn ich keine Lust habe. Wer hat denn schon Lust, permanent zu arbeiten, wenn er auch was anderes machen könnte?
Das empfinde ich als Privileg.
Meine Arbeit erfüllt mich mit Freude & Glück. Ich arbeite gern. Ich fühle eine tiefe Befriedigung, wenn ein Bild oder auch nur eine klitzekleine Zeichnung fertig ist & wenn die Arbeit außerdem einigermaßen gelungen ist.
Was nicht heißt, dass ich zufrieden bin. Ich bin selten zufrieden. Ich bin sogar meistens unzufrieden. Aber meistens bin ich glücklich beim Betrachten meiner Bilder. Für eine kurze Zeit. Es wundert mich immer wieder, wenn etwas Brauchbares entstanden ist. Das ein oder andere Bild aus den letzten Jahren war gar nicht so schlecht. Und außerdem viele kleinere Papierarbeiten. Und manche Wandmalerei. Glaube ich.
Ich kann mich an lapidaren, beiläufig entstanden Skizzen erfreuen. Der Geruch von Leinöl & Terpentin hängt in meinen Kleidern. Ich beobachte gerne Dinge, Menschen oder auch die Natur in Hinblick auf ihre Tauglichkeit für ein Bild oder eine Zeichnung. Manchmal fotografiere ich. Ich schreibe gerne mit Füllfederhalter auf Papier. Es müssen nicht immer große, epische Leinwandarbeiten sein. Es müssen auch nicht immer meine eigenen Bilder sein, an denen ich mich errege. Im Gegenteil! Ich gehe gerne in Ausstellungen & betrachte & bewundere die Arbeit vieler Kolleginnen & Kollegen.
Ich bin einfach bildergeil.
Meine eigenen Bilder betrachte ich seit jeher als in Form gebrachte Zweifel, zumindest als zweifelnde Fragen an das Leben, ohne je eine Antwort erhalten zu haben. Verrückterweise frage ich ich immer wieder aufs Neue, obwohl ich weiß, dass ich niemals eine Antwort erhalten werde. Von Bild zu Bild werden die Zweifel aufs Neue geschürt.
Der Zweifel ist nichts anderes als eine anthropologische Grundkonstante aller Künstler, vielleicht auch der einzige Antrieb überhaupt, zu schreiben, zu malen & somit zu versuchen, die Welt irgendwie ein kleines bisschen zu verstehen, ohne an ihr zu gänzlich zu verzweifeln.
Zweifeln ohne zu verzweifeln.
Das ist eine Gratwanderung. Aber ich glaube, ich wäre enttäuscht, würden irgendwann meine Fragen beantwortet & meine Zweifel zerstreut. Würden meine Bilder antworten, ich würde die Augen verschließen, ich würde versuchen, diese Antworten zu ignorieren.
In den vergangenen Jahren hatte ich immer wieder lange Phasen des Zweifels & der Unsicherheit. Ich fremdelte sozusagen mit meinen eigenen Bildern. Das liegt wohl auch daran, dass ich immer mal wieder – für Außenstehende Beobachter von heute auf morgen – meine bildnerischen Interessen änderte. So folgen auf lange Phasen der figürlichen Malerei längere Phasen gegenstandsloser Malerei. Sei es aus Übermut oder aus Verdruss oder weil mir gerade nichts mehr einfiel. Ich weiß es selbst nicht immer so genau, aber das Zweifeln spielt sicherlich eine große Rolle bei diesen Wechseln.
Wer wäre ich denn ohne meine Zweifel?
Das geht vorbei. Das weiß ich. Das ist immer vorbei gegangen. In solchen Momenten bin ich froh, nicht im Vorstand eines börsennotierten Unternehmens zu sitzen. So jemand kann sich ja keine Schwachheiten erlauben. Oder noch schlimmer: Ich wäre Chirurg & ein Patient stürbe während einer routinemäßigen Blinddarmoperation. Weil ich einfach mal schlecht drauf war.
Während ich permanent scheitern darf – ja, scheitern muss! Ohne Scheitern geht es nicht weiter. So sehe ich das. Ich darf monatelang arbeiten & dann feststellen: Alles für die Katz! Noch mal von vorne. Das kann manchmal deprimierend sein.
Aber auch: Welch ein Luxus!
Arbeiten & scheitern! Das muss man sich einfach mal vorstellen! Ins Atelier gehen, zeichnen, wegschmeißen, malen, abwaschen. Oder einfach die Papierarbeiten des Tages in den Müll schmeißen. Nach Hause gehen. Am nächsten Tag wieder anfangen. Weitermachen.
Ein glückliches Künstlerleben mit dem Zweifel & der ganzen Ungewissheit. Und diesen verrückten Zufällen.
Ich wollte nichts anderes leben.
Fragmente & Verborgenes
Sabrina Sperl
Habitat, 2013
Ölfarbe und Tempera auf HDF, 25 x 20 cm
Meine Kollegin Sabrina Sperl bat mich, zu ihrer Ausstellungseröffnung in der Union Stiftung in Saarbrücken ein paar Worte zu verlieren. Was ich sehr gerne tat.
Sabrina Sperl
„Fragmente und Verborgenes“
Ausstellungseröffnung 25.05.2018
Union Stiftung, Saarbücken
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
es ist mir eine Freunde und eine Ehre zugleich heute Abend einige Worte über die Arbeit meiner sehr geschätzten Kollegin Sabrina Sperl verlieren zu dürfen. Ich versuche das aus meiner sehr persönlichen Sicht des Malerkollegen, in der Hoffnung, ihrer Arbeit damit einigermaßen gerecht zu werden.
Ich möchte nicht verhehlen, dass ich ein großer Bewunderer von Sabrina Sperls Malerei bin, seit mir ihre Werke zum ersten Mal begegnet sind – es war so um 2002/2003 im Atelier der Klasse von Professor Sigurd Rompza, bei dem sie von 1998 – 2003 an der HBK Saar studierte und auch ihr Diplom machte.
Bereits damals fielen mir auf: sowohl ihr hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigenständigkeit als auch damit einhergehend die frühe Emanzipation der Künstlerin von ihrem Lehrer und von der konkreten Kunst.
Über ihre Malerei sagt sie unter anderem: „Das Abstrakte interessiert mich nicht genug; ich kann nicht abstrakt malen. Ich möchte konkret malen im Sinne von erkennbar, sichtbar.“
Das eigentlich Auffallende an diesen Arbeiten war, dass sie zunächst – bei erster Betrachtung – nicht auffielen durch Größe, Monumentalität, Lautheit, Geschrei und Getöse. Sondern: diese Arbeiten waren klein und feinsinnig, dadurch von einer gewissen Privatheit und selten größer als vielleicht zwei oder drei Handteller.
Man musste schon ganz nah hingehen und genau beobachten: Es waren kleine Räume – ja, Kammerspiele im wörtlichen Sinn, in die man als Betrachter förmlich hineingezogen wurde – wenn man sich denn darauf einließ.
Die Künstlerin selbst nennt die Arbeiten, an denen sie bis ca. 2008 arbeitete, schlicht „Kasten“. Das ist bescheiden und greift zu kurz, sind es doch komplexe und zugleich subtile Untersuchungen des Raumes an dreidimensionalen Bildkörpern mit den Mitteln der Malerei.
Kleine Kisten, oft aus Pappe oder Holz, bemalt, teilweise gesägt und geschlitzt, den Blick von der Oberfläche auf ein zumeist schwarzes, bodenloses Innere lenkend. Gelegentlich auch mit Stoff oder Gaze bespannt, die Räumlichkeit konterkarierend. Unendliche Räume in kleinstem Format.
Dabei besaßen einzelne Arbeiten trotz ihrer kleinen Abmessungen monumentalen Charakter, es eröffneten sich dem Betrachter große Bildräume, Landschaften und architektonische Verschachtelungen und bei alledem sind sie eines: Malerei im Raum.
Es war aber weniger das Dargestellte, das Gezeigte und Sichtbare, was mich damals neugierig machte.
Es war die Haltung der Künstlerin, die ich in diesen Objekten zu erkennen glaubte und genau diese Haltung bestätigte sich auch immer wieder im Laufe der Jahre, nachdem ich Sabrina Sperl näher kennenlernte: Hier zeigte sich mir eine sehr sensible Malerin, der eine sehr konzentrierte, fast schon meditative Art zu denken, zu beobachten und zu malen eigen war.
Das beginnt schon bei der Auswahl und Vorbereitung ihrer Malgründe: Holz, PDF-Platten oder Pappe, vorbereitet und grundiert nach Rezepten alter Meister. Überwiegend Kasein- oder Halbkreidegründe. Allein die Vorbereitung zur Malerei zeugt von großer handwerklicher Kenntnis und Präzision. In ihrer Malerei schließlich – ausgeführt in Tempera oder Öl auf kleinster Fläche – ist eine hohe Konzentration und Liebe zum Detail zu spüren.
Diesen Aufwand an Zeit und Handwerk spüre ich immer ganz deutlich beim Betrachten der Arbeiten dieser außergewöhnlichen Künstlerin. In jedem Bild steckt eine unglaubliche Energie. Und es ist unter anderem ist diese Energie, die den Reiz und die Faszination von Sabrina Sperls Malerei auf mein Malerauge ausübt. Ich kann ganz nah herantreten und mit meinen Augen langsam in diesen Preziosen spazieren gehen, ohne dass je ein Gefühl von Langeweile oder Ermüdung aufkäme. Überhaupt scheint Zeit in Sabrina Sperls Bildern keine Rolle zu spielen – weder, was den langwierigen Entstehungsprozess betrifft noch während der Betrachtung des fertigen Bildes. Ich kann mich in diesen Bildräumen verlieren – so wie sich wohl die Künstlerin bei ihrer Arbeit im Bild verliert – und ich meine das im positivsten Sinn des Wortes – ohne sich je zu verirren. Ich kann mir die Zeit vertreiben in diesen Bildern auf diese für mich als Maler angenehmste Weise. Diese Bilder verweigern sich dem schnellen Konsum und dem flüchtigen Blick, unwillkürlich finde ich mich in der Haltung der Künstlerin; ein meditatives Bildbetrachten ergreift mich.
Auch heute, in der aktuellen Ausstellung in der Union Stiftung, sehen wir wieder überwiegend kleine Malereien. Präsentiert auf eigenen Malgründen aus Holz, ähnlich einem Passepartout, damit sie sich vom schwierigen Umfeld lösen und ihre Kraft im Raum entfalten können. Die Holzhintergründe erleichtern es mir, mich in die Bilder zu versenken.
Formal und motivisch allerdings hat Sabrina Sperl ihre Bildsprache in den letzen Jahren erweitert. Die Ellipse dominiert viele ihrer Bilder und Bildobjekte. Einerseits als Malgrund, bestehend aus einer oder mehreren Ellipsen, der den Blick auf ihre Landschaften, Architekturen oder auch scheinbar zufällig agierenden Menschen fragmentiert, andererseits als Ausschnitt im Bildraum, eine Art Leerstelle, die dem Betrachter einlädt, den Raum zu vervollständigen und neu zu interpretieren. Leerstelle und Raum zugleich.
Die Bildmotive sind meist Beobachtungen aus dem unmittelbaren Umfeld: ein Blick aus dem Wohnzimmerfenster, Menschen im Saarbrücker Stadtraum, alltägliche Situationen. Realistische Details nach eigenen Fotos, Strukturen aus Raum und Architektur finden feinsinnig und detailgenau beobachtet und gemalt Eingang in ihre Malerei.
Allerdings ist es keine Malerei nach Fotos, vielmehr ist es ein Verwerten von Fotos, die gegebenenfalls von der Künstlerin auch verändert und neu komponiert werden.
Ihre Arbeit zeigt ein Wechselspiel zwischen Körper und Raum, positiv und negativ, Sichtbarem und Verborgenem, zwischen Fragment und Vollständigkeit.
Dabei bezieht sie bei einigen Arbeiten in dieser Ausstellung den Rand der Holzkörper in ihre Farbgestaltung mit ein. Jedes Bild, jedes Objekt, jeder Bildkörper ist gleichzeitig auch Ergebnis und Ausdruck des Nachdenken über die Möglichkeiten Malerei.
Sie selbst spricht über die Entdeckung der Ellipse von einer universellen Form ohne Bedeutung, entwickelt aus der Beobachtung und Zeichnung von Betonkübeln an der Akademie in Tier bei Jochen Stenschke, wo sie vor ihrem Studium an der HBK ein kurzes Gastspiel hatte.
Bis auf die Installation im Treppenhaus mit den größeren Ellipsen ist Sabrina Sperl in dieser Ausstellung dem kleinen Format treu geblieben. Klein, aber ungeheuer präsent.
In ihren malerischen und formalen Untersuchungen lotet Sabrina Sperl zahlreiche Nebenwege aus, die sich aus ihrer Arbeit und ihren Überlegungen mit dem Material ergeben. Sie isoliert bildnerische Elemente und variiert sie unentwegt und untersucht sie auf ihre Tauglichkeit fürs Bild.
Die älteste Arbeit in der Ausstellung ist von 2013: „Habitat“ ist der Titel. Sabrina Sperl spricht von einem „Urbild“ für die kommenden Jahre. Wir sehen ein durch Quadrate, Rechtecke und Ellipsen fragmentiertes, zweidimensionales Bildmotiv. Eine profane Hinterhofidylle, meisterhaft ausgeführt, ein Leckerbissen für meine Augen.
In den folgenden Jahren variiert die Künstlerin die Grundelemente der Gestaltung diese Bildes an unzähligen zwei- und dreidimensionalen Bildern, Bildkörpern und Objekten immer wieder aufs Neue.
Auch hier zeigt sich wieder diese Haltung, die mir so imponiert: Alles wird mit Stetigkeit und Geduld vorangetrieben und ausgearbeitet. Keine Mühe, kein Aufwand scheint lästig oder zu groß.
Das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten ist seit meiner ersten Begegnung an der HBK vielfältiger geworden, die Arbeiten reifer und vielschichtiger. Sie bewegt sich spielend und spielerisch zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen Malerei und Objekt. Ein großer Spagat innerhalb einzelner Arbeiten, aber oft auch auch von Arbeit zu Arbeit. So sind auch Objekte zu sehen, in denen fragmentierte, auf kleine rechteckige und quadratische Bildträger gemalte Bildausschnitte sich stufenweise dem Betrachter spiralförmig gleichsam entgegen schrauben. Auch sie sind das Ergebnis aus zahlreichen Untersuchungen, auf die sie beim Betreten ihrer Nebenwege stößt. Ihre Wachsamkeit lässt keine Möglichkeit aus, immer wieder neue Formen zu finden.
Sabrina Sperls Kunst ist trotz ihrer meist kleineren Formate ungeheuer kraftvoll und frisch, ihre künstlerische Haltung macht dieses Werk vor allem anderen aber zeitlos in jeder Hinsicht.
Ich möchte sie einladen, vor diesen Bildern und Objekten zu verweilen. Flanieren sie in den den Bildwelten und -räumen von Sabrina Sperl und lassen sie ihren Blick und ihre Gedanken schweifen. Sie werden reich belohnt!
Und vor allem: Lassen sie sich Zeit!
Sabrina Sperl
„Fragmente & Verborgenes“
Eröffnung: Freitag, 25. Mai 2018, 19:00 Uhr
25. Mai – 29. Juni 2018
Mo – Do von 8:30 – 17 Uhr
Fr von 8:30 – 15:00 Uhr
Union Stiftung
Steinstraße 10
66115 Saarbrücken
Union Stiftung
Friedel
Ohne Titel („Friedel Läpple“), 2018
Acryl, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm
Stiftung Demokratie Saarland
Unwirklich
Im Umfeld des neuen Pavillons lädt Michael Riedels nicht zu übersehende, großräumige Installation den geneigten Betrachter immer wieder ein („… es dürfte das größte öffentliche Kunstwerk aller Zeiten im Saarland sein.“), sich sinnstiftende Gedanken über Gott & die Welt & das große Ganze zu machen. Oder neue Bezüge & Zusammenhänge zu finden.
Aber je länger ich darüber nachdenke – ich bin ja täglich mit dem Werk konfrontiert – empfinde ich einen Abnutzungseffekt. Oder anders gesagt: ich finde das Werk nicht zeitgemäß. Verkopft. Selbstreferenziell? Den Skandal zum Thema machen?
Große zubetonierte Flächen mit Buchstaben, die mit der Zeit zu Mustern & unterschiedlichen Grauwerten verschwimmen, versiegelter Boden, verschenkter Raum & Zugangs- & Durchgangsfläche für Fußgänger: Zum Museum, zur Musikhochschule, zur Saar. Weder Platz noch Weg. Ein graues Nichts. Eine uninspirierte Fläche ohne Tiefe & ohne Tiefgang.
Vielleicht zu sehr Design denn eine wirkliche ästhetische Zumutung. Ästhetische Zumutungen, Provokationen im öffentlichen Raum finde ich nämlich gut. Wenn sie klug gedacht & gut gemacht sind. Wann hat je in den letzten Jahren ein Werk in Saarbrücken provoziert? Wann hat man den Bürgern das letzte Mal wirklich etwas zugemutet? Also künstlerisch, ästhetisch. Keine Möblierung, keine Dekoration, keine Aufhübschung, kein Design, sondern irgendein Störfaktor, irgendein ein fremdartiges Ding, über das wir uns aufregen können. Nicht weil es schlecht ist, im Gegenteil! Weil einfach da ist & mich fertig macht, weil es mir den Blutdruck hochtreibt & mich täglich herausfordert, weil es zum Nachdenken anregt & einfach nur klug & gut ist.
Wie so oft bei konzeptioneller Kunst finde ich die Idee & ihre Beschreibung besser als die Umsetzung.
Vielleicht tue ich Herrn Riedel unrecht, ich habe durchaus Respekt vor seiner Arbeit, andernorts.
Aber hier macht sich – aus meiner Sicht – eine gewisse graue Langeweile breit. Einzig das Wort „Museum“ prangt immer wieder unterschiedlich groß & breit aus dem Fließext. Damit auch wirklich jeder kapiert, womit er es hier zu tun hat. In der sommerlichen Hitze heizen sich diese Platten mit Sicherheit bis zur Unerträglichkeit auf. Dann wünscht man sich wahrscheinlich mehr Schatten spendende, kühlende Bäume zum mittlerweile warmen Bier, nachdem man kurz zuvor sein Grillsteak auf dem heißen Stein durchgegart hat.
Wie zeitgemäß ist das eigentlich? Unter ökologischen Gesichtspunkten? Welche Aufenthaltsqualitäten bietet eigentlich dieser komplett verunglückte Platz mit dem noch verunglückteren Eingangsbereich zum Museum sonst noch? Ich sehe da keine.
Am Museumsbau vorbei, in ost-südlicher Richtung, paralell zur Bismarkstraße, breitet sich die alltägliche Begrausamung weiter aus. Hier spendet der alte Schönecker-Bau wenigstens in den Abendstunden Schatten. Aber ansonsten: Null Aufenthaltsqualität, reizlos für das Auge, langweilig.
Überhaupt: Der Eingangsbreich des Museums. Völlig verplant & mickrig; im Sommer wird der geneigte Besucher zum Spießrutenlauf zwischen Tischen, Stühlen & Sonnenschirmen des Cafés gezwungen. Der alte Eingang ist der neue Eingang. (Wer hier ein Café betreiben will, möchte sicherlich einmal im Leben einen Konkurs hinlegen). Stiefmütterlich, verschämt & versteckt, von der Straße kaum einsehbar (sowohl Café als auch der Eingang).
Wo keine Typoplatten an der Fassade des neuen Pavillons hängen, ist der Bau in einem undefinierbaren, langweiligen Braun grob verputzt. Kackbraun. Meinetwegen auch Dunkelwarmgrau. Von wem stammt eigentlich diese Entscheidung?
Ich plädierte ja seinerzeit schon immer für rosa. Wegen mir auch Magenta. Warum denn nicht? Rosa passt immer! Dazu die grauen Platten – aus meiner Sicht wäre das plötzlich ein Augenschmaus. Und für jeden Museumsschriftzug hätte ich eine Eiche im irgendwo im näheren Umfeld gepflanzt. Oder wenigstens eine Yucca-Palme.
Aber mich fragt ja keiner, auf mich hört ja keiner.
Dann müssen wir eben jetzt damit leben, mit dem größten öffentlichen Kunstwerk aller Zeiten im Saarland.
Sind ja nur Steine – Baustelle
Im Rahmen der Saarbrücker Innenstadtsanierung in den 1970er Jahren wurde eine Fußgängerzone um den St. Johanner Markt errichtet, die am 01. Mai 1979 eingeweiht wurde. Auf der Grundlage des Gestaltungsrahmenplanes entwarfen Künstler und Architekten der Arbeitsgemeinschaft Fußgängerbereich Saarbrücken (AFS), die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bildender Künstler e.V. (ABK) enthielt, die technische, gestalterische und künstlerische Detailplanung, in der mehrere Kunstobjekte […] vorgesehen waren.
Eine Baustelle rund um den Stein von Milena Lah aus Zagreb. Ich finde das Vorgehen sowohl der ausführenden Arbeiter als auch der Verantwortlichen Planer respektlos. Man hätte dieses Werk im Vorfeld der Bauarbeiten schützen können.
Aber wozu? Ist ja nur ein Stein.
Gaia
Die „Große Gaia“ von Matschinsky-Denninghoff am neuen Museumspavillon in Saarbrücken. Leider verstellt durch einen Laternenmast. Ein Fauxpass.
Aber das ist ja auch kein Wunder. Der komplette Museumsneubau ist ein einziger Fauxpas. Ein scheiß langweiliger Fauxpas. Ein scheiß langweiliges Bild kann man übermalen. So was passiert. Aber dieses scheiß langweilige Fauxpas-Museum kann man nicht einfach mal übermalen.
Scheißen!
Volker Sieben ist tot
Vor einigen Tagen, am 8. März, starb in Berlin mein Malerkollege Volker Sieben. Er fehlt mir schon jetzt.
Anbei ein Nachruf aus der Saarbrücker Zeitung.
Brot verdienen
Ohne Titel, 2018
Aquarell auf Aquarellpapier, 30 x 40 cm
Privatbesitz
Auftragsportäts sind meistens eine willkommene Abwechslung. Außerdem eine Herausforderung. Nicht immer funktioniert alles reibungslos. Außerdem wollen sich die Menschen in all ihrer Schönheit wiedererkennen. Die Spielräume sind oft nicht sehr groß, bestimmte Vorgaben müssen erfüllt werden. Technik, Material, Größe, außerdem male ich meistens nach Fotos. Je nach Etat schieße ich die Aufnahmen selbst. Oder ich muss mich mit den Aufnahmen des Auftraggebers herumschlagen – in diesem Fall passte alles. Außerdem ging es mir leicht von der Hand.
Mit Hoodie & Fieber
Ohne Titel („Sick“), 2017
Öl auf Aludibond, ca. 40 x 30 cm
Das letzte Bild im alten Jahr. Ein Selbstporträt mit Grippe & Hoodie für ein Projekt eines Künstlerkollegen in Hamburg.
Analogie & Korrelation
Ausschnitt aus der Arbeit „Liebt Euch 1“, 1999, von Michel Majerus
© Estate Michel Majerus 2017
Ausschnitt aus der Arbeit „Spacemanship“, 2017, von Pae White
Beide Arbeiten sind derzeit zu sehen im neu eröffneten Saarlandmuseum. Witzig auch, dass beide Künstler in ihren Arbeiten u. a. den Geist der 68er zitieren (Pae White in ihrer Tapisserie im ersten Raum des neuen Pavillons): u. a. Drogen & Drogenkonsum (aber warum?). Auf der Tapisserie sind Magic Mushrooms nebst Cannabispflanzen zu sehen.
Psychedelisch.
Kalte Reste
Der schönste Tag im alten Jahr: Das Hüttendorf am St. Johanner Markt ist abgebaut. Weihnachten kann losgehen. Die vereinzelten Bretter fügen sich harmonisch in das Ensemble ein, zusammengehalten vom Regen. Ich hätte nichts dagegen, blieben sie dauerhaft.
Museum
Seit der Eröffnung Mitte November strömen Menschenmassen ins neue Museum. Der Eintritt ist bis zum Ende des Jahres frei. Um die Kunst im Inneren zu sehen, muss man täglich mindestens eine Viertel Stunde in der Schlange stehen. Wenn es dunkel wird, sehe ich von unserem Wohnzimmerfenster aus die Arbeit von Michel Majerus.
Nicht allein
Zwei Tage vor Weihnachten – ich habe sie herbeigesehnt, auf sie gewartet. Meine Freunde in ihren riesigen Raumschiffen.
Die Zeit steht still, ich weiß nicht, wie lange ich am Fenster stand. Draußen mögen es Sekunden gewesen sein, für mich war es eine Ewigkeit.
Außerdem ist das Fenster immer noch dreckig.
Rammbock
Was hier am Boden liegt, ist eine Skulptur von Thomas Wojciechowicz. Vermutlich umgefahren im Zuge der Aufbauarbeiten rund um das Hüttendorf, genannt Christkindlmarkt.
Die Steinskulpturen rund um den St. Johanner Markt werden eigentlich immer mal wieder umgemäht; das ist hier eigentlich nichts besonderes. Routine. Die Skulptur von Heinz Oliberius, bei dem ich einst einge Semester zeichnete, wird pro Jahr mindestens zwei- bis dreimal Opfer unaufmerksamer Wendemanöver.
Anbei ein Artikel von Silvia Buss in der Saarbrücker Zeitung vom 23. Mai 2016. Bitte hier klicken.