Gefroren, geweint & gelächelt
… die überleben wollen
09:37 Uhr. Blick aus dem Wohnzimmerfenster (Richtung Osten – Ormesberg).
09:38 Uhr. Blick aus dem Wohnzimmerfenster (Richtung Ost-Südost). Sonne über Nachbars Häusern.
09:49 Uhr. Blick aus dem Wohnzimmerfenster (Richtung Süden). Bäume über dem Eingang zum Friedhof.
Dieses Licht. Diese Stimmung. An Soylent Green gedacht.
Der unverdorbene Blick …
Ohne Titel („Petra“), 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 30 x 40 cm
Wieder ein paar Tage über den Tellerand geguckt – bisschen Hamburg, bisschen Berlin.
Leider habe ich das USB-Kabel vergessen. Also keine Fotos. Dafür Zustandsberichte der Zeichnung vom Anfang der Woche. Auch keine Skizzen aus dem fahrenden Auto.
Entweder flog ich durch die Nacht oder fuhr mit dem Zug; auch in der Nacht. Einmal – glaube ich mich zu erinnern – saß ich auch an einem Vormittag mit mehreren Menschen in einem Abteil. Aber so genau weiß ich das nicht mehr. Sehr hell kann es also auch nicht gewesen sein.
In Hamburg traf ich mich (unter anderem) sehr lange & ausgiebig mit Gerd. Mir gefällt Gerds Haltung zu Malerei & Zeichnung. Außerdem schätze ich seine Arbeit sehr. Leider gibt es in Hamburg kaum Bierkeipen. Dafür Unmengen von „Coffee shops”, die allerdings ein durstiger Mensch überhaupt nicht gebrauchen kann.
Außerdem besuchte ich Reinhold, Heike & Jens.
Und Klaudia.
Ernsthafte, stille, hintergründige, tiefsinnige & poetische Arbeiter im Steinbruch der Kunst. Daran erinnere ich mich sehr gut.
In den Ateliers war es jedenfalls immer sehr hell.
Am Ende des Schattentages
Ohne Titel („Iris‘ Mother & Friends at Iris‘ party“), 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 30 x 40 cm
Nachts. Ankommen in der großen dunklen Stadt. Einschlafen. Aufwachen in der großen dunklen Stadt.
Tags. Spazieren der großen dunklen Stadt.
„Tiefer! Tiefer! Irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht!“ (meint Kate)
Irgendwann …
„All you Zombies”
Ohne Titel („Petra“), 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 30 x 40 cm
Der Titel: „All you Zombies“ – bezieht sich auf eine Skulptur von Robert Longo, die ich zum ersten Mal auf der Documenta 8 in Kassel gesehen habe; ich fand die Arbeiten von Longo damals ziemlich schräg. Leider habe ich keine bessere Abbildung im Netz gefunden … hier noch …
Line: „Malst du neuerdings Zombies?“
Ich: „Nein – wieso?“
Line: „Na, hübsch ist das ja nicht gerade!“
Ich: „Oh – du meinst Petra …“
Where is the Sublime?
Ohne Titel („Well known couple at Iris‘ party“), 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 30 x 40 cm
The Sublime Is There … ein sehr seltsames & eigenartiges Interview mit dem Künstler Jon Törklánsson. Wirklich. Sehr eigen.
Über Malerei
Manchmal, während des Arbeitens – ich sage jetzt nicht, während des Malens – gehen mir Fragen durch den Kopf; zum Beispiel:
„Wann findet Malerei eigentlich statt?“ oder „Wann ist Malerei?“
Ist Malerei eine Tätigkeit?
Ist Malerei das Ergebnis einer Tätigkeit?
Ist schon die Vorbereitung zu dieser Tätigkeit Malerei?
Ist das Nachdenken über diese Tätigkeit auch Malerei? Ist etwa das Erzählen über das Nachdenken Malerei?
Ist das Nachdenken, Erzählen & Reden über das Ergebnis dieser Tätigkeit – also über ein Bild – auch Malerei?
Welche Tätigkeit meinen wir überhaupt? Beginnt Malerei mit dem Zeitpunkt, wo der mit Farbe getränkte Pinsel die Leinwand berührt & dauert so lange, bis sämtliche Farbe auf der Leinwand verschmiert ist? Oder beginnt Malerei schon mit dem Mischen von Farbe auf der Palette, auf einem Stück Pappe oder auf dem Fußboden vor der Leinwand? Oder mit dem Nachdenken, mit dem Vordenken, mit dem Planen und Entwerfen, mit dem Verwerfen?
Beim Reinigen der Pinsel denke ich nach. Ich sitze am Waschbecken, betrachte das Ergebnis meiner Arbeit und während des Betrachtens male ich weiter – vor meinem geistigen Auge – so sagt man. Ist das Malerei? Pinsel waschen, nachdenken?
Sind es die Pausen? Die Pausen zwischen dem Mischen der Farbe und dem Auftragen der Farbe? In diesen Pausen denke ich auch über Malerei nach. Über Bilder. Über gemalte Bilder – von mir gemalte Bilder. Oft sitze ich längere Zeit in meinem Malerstuhl im Atelier – vor einem Bild oder der weißen Wand – und stelle mir Bilder vor, die ich malen werde.
Aber auch Bilder, die andere vor mir gemalt haben.
Andere wie Vermeer, Velasques; manchmal Munch. Auch Mantegna. Nie über Kandinsky. Über Kandinskys Malerei denke ich nicht nach. Surrealismus ist eine Strömung, durch die ich auch geschwommen bin. Aber mittlerweile habe ich mich schon lange in anderen Einfüssen getrocknet. Hockney. Gestern zum Beispiel habe ich an Jim Dine gedacht. An Jim Dines Malerei.
Oder ist es das Träumen von Bildern, nachts, während des Schlafens? Von noch nicht gemalten Bildern. Von oft gesehenen Bildern. Ist Malerei das Träumen vor Bildern – also während des Betrachtens von Bildern?
Träumen von nicht gemalten Bildern bedeutet für mich auch: Ich wünschte mir, dieses oder jenes Bild so oder so zu malen; gelungen ist mir das aber noch nie.
Dann frage ich: „Warum malst Du nicht das, was Du in der Nacht vor Deinem geistigen Auge gesehen hast?” Oft beginne ich ja mit der Absicht, mit dem Plan, ein erträumtes Bild zu malen. Aber dann wird doch wieder alles anders. Ist das Unfähigkeit?
Eigentlich quäle ich mich, während der Pinsel über die Leinwand zieht, wenn ich die weiche, noch feuchte Ölfarbe furche. Es ist ein quälender, ermüdender Prozess. Außerdem ist es stinklangweilig. Gelegentlich sagt jemand: „Ich würde Dir gerne nur einen Tag zugucken, während Du malst.“
Verrückt. Sollen lieber spazieren gehen mit der Geliebten oder mit den Kindern spielen in der Zeit, die Leute.
Eben. Ich verbringe mehr Zeit damit, genau diesen Moment vorzubereiten: der Moment, an dem ich den Pinsel über die Fläche der Leinwand führe. Und anschließend denke ich darüber nach. Nachdenken kann lange dauern.
Vielleicht male ich deswegen. Ein Bild nach dem anderen. Weil ich von Bildern träume und über sie nachdenken kann.
Wenn ein Bild fertig ist, bin ich glücklich; aber nur dann. Wenn ich mich beim Betrachten eines Bildes freue, ist es fertig. Ich nehme mir nie vor, das Bild fertig zu malen. Es ist das Bild, was mich überrascht und sagt: „Hör auf! Ist gut! Mach Schluss! Geh spazieren mit der Geliebten oder spiele mit den Kindern!“
Dann bin ich erleichtert und denke: „Wie gut, dass Du Dich so gequält hast!“
Es kommt vor, dass ich nicht auf das Bild höre und ein wenig zuviel male. Dann bin ich einen Tag später damit beschäftigt, die Spuren des Malereiüberschusses mit den Mitteln der Malerei zu beseitigen. Oder ich kratze alles ab, wasche alles mit Terpentin runter. War das unnötige, nichtsnutzige Malerei?
Das ärgert mich. Ich weiß nicht, ob ich den Gedanken, der im Bild war, noch einmal fassen kann. Nein – ich weiß, dass ich den Gedanken nie wieder fassen kann. Er ist weg. Flüchtig. Einmal, für deine winzige Ewigkeit, war er im Bild und ich habe nicht gehört, nicht gesehen, nicht nachgedacht, war zu schnell; zu schnell gemalt.
Ich habe den Gedanken mit Farbe zugeschmiert. Zugemalt. Besser, ich hätte vorher gedacht, über den nächsten Schritt nachgedacht. Über Malerei nachgedacht. In Gedanken gemalt. Gott sei Dank gibt es viele Gedanken. Viele winzige Ewigkeiten. Manche kann ich dann doch festhalten. Das ist schön.
Möglicherweise liegen die Antworten dieser Fragen im Bild. Das Bild zeigt die Zeit, in der Malerei stattgefunden hat. Und sie findet weiterhin statt.
Malerei ist eine Haltung. Wenn du Maler bist, malst du ständig. Das ist das praktische an der Malerei. Egal, ob die Augen geschlossen sind oder geöffnet.
Dieses Jahr habe ich viel über Malerei nachgedacht.
Unterwegs
Ohne Titel, 2008
Bleistift, Skizzenbuch, ca. 29,7 x 42 cm (geöffnet)
Ohne Titel, 2008
Bleistift, Skizzenbuch, ca. 29,7 x 42 cm (geöffnet)
Ohne Titel, 2008
Bleistift, Skizzenbuch, ca. 29,7 x 42 cm (geöffnet)
Ohne Titel, 2008
Bleistift, Skizzenbuch, ca. 29,7 x 42 cm (geöffnet)
Ein paar Tage über den Tellerand geguckt – bisschen Leipzig, bisschen Chemnitz. Dabei an die „Sizzen aus dem fahrenden Auto“ erinnert, die Ralf & ich schon mal vor 20 Jahren machten …
Im Museum der Bildenden Künste in Leipzig geht man durch viele Räume & über viele Treppen, bevor man auf Kunst trifft – z. B. Caspar David Friedrich oder Max Beckmann. Warum der David im Museumscafé stand, habe ich nicht rausfinden wollen. Vielleicht, weil das Café gar kein Café ist sondern eine riesige Halle aus Glas & Beton & ich mir ein wenig verloren vor kam.
Möglicherweise der Appell an das Sublime …
Deklination & Konjugation
Ohne Titel, 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 32 x 24 cm
Ich bin nicht religiös, aber zur Zeit befinde ich mich in Exerzitien.
Eine andere Möglichkeit sehe ich gerade nicht.
Dünnes Eis
Ohne Titel, 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 31 x 41 cm
„Früher oder später erfindet jeder eine Geschichte, die er für sein Leben hält“
(Max Frisch zugeschrieben …)
George der Letzte
Ohne Titel („Towar“), 2008
Bleistift, Aquarell auf Aquarellpapier, 29,7 x 21 cm
Grundlage der Serie mit dem Titel „Leading to war“ ist ein Foto mit den Protagonisten der damaligen US-Regierung: George W. Bush, Donald Rumsfeld, Dick Cheney und Condoleezza Rice. Ich habe sowohl dieses Foto als auch die einzelnen Personen immer wieder in mehreren Versionen gemalt und gezeichnet.
Zum besseren Verständnis meiner Motivation dient der folgende Text, den ich aus dem Blog des Journalisten Stefan Niggemeier entnommen habe:
Leading to war
„Leading to war“ ist vielleicht der einfachste Film über den Irak-Krieg. Es gibt keinen Erzähler und keine Schauspieler, keine Reporter vor Ort und keine Undercover-Aufnahmen, keinen Michael Moore, der Passanten und Politiker vorführt. Es gibt nicht einmal eine Dramaturgie jenseits der Chronologie der Ereignisse. Es gibt nur die Fernsehauftritte von George Bush und seinen Mitstreitern, mit denen sie die Nation und die Welt in den Irak-Krieg führen, von Bushs Rede von der »Achse des Bösen« vor dem Kongress am 29. Januar 2002 und bis zum offiziellen Kriegsbeginn am 19 , März 2003.
„Leading to war“ ist sicher einer der wichtigsten Filme über den Irak-Krieg. Er zeigt in erschütternder Klarheit, mit wie viel Kalkül, Konsequenz und Skrupellosigkeit die amerikanische Regierung eine Stimmung schuf, in der der Öffentlichkeit ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen den Irak nicht nur sinnvoll, nicht nur wünschenswert, sondern sogar unvermeidlich schien. Er zeigt, wie sie Lüge auf Lüge stapelten und durch einen nicht enden wollenden Propagandabrei miteinander verbanden. Er zeigt ihre Kunstfertigkeit, mithilfe vager Andeutungen und irreführender Antworten Tatsachen zu verdrehen und nicht existierende Zusammenhänge erscheinen zu lassen. Er zeigt, wie sie mit ihren Lügen und Manipulationen ein Klima aus Furcht und Kriegseuphorie schufen.
Man muss sich manchmal gewaltsam daran erinnern, dass die Verantwortlichen, denen man in diesem Film beim Lügen und Kriegstreiben zusehen kann, nicht das Regime eines Schurkenstaates sind, sondern unsere Verbündeten, demokratisch gewählt, die Führer der freien Welt, die sich in diesem Kampf explizit als Verteidiger des Weltfriedens und der westlichen Zivilisation als Ganzes ausgaben. Und es ist kaum erträglich, sich das anzusehen, und sich daran zu erinnern, dass keiner von ihnen für die folgenschwere Manipulation der Wahrheit zur Rechenschaft gezogen wurde, ja, die wichtigsten immer noch in Amt und Würden sind.
Man muss sich das ansehen und lernen. Einige der Lügen lassen sich erst rückblickend als solche enttarnen. Aber die Rhetorik war damals schon eindeutig. „Wer nicht auf unserer Seite ist, ist unser Gegner — ein Dazwischen gibt es nicht.“ Wie Bush, Powell, Rice, Rumsfeld und die anderen die Öffentlichkeit mit Sprache manipulierten, mal mit der Brechstange, mal subtil, das muss man sich ansehen. Und weiter zeigen. Und daraus lernen.
Die Autoren formulieren es so:
„Leading to war“ is also intended as a historical record for future generations, who will not have had firsthand experience of the precise, incremental steps taken by the government in presenting its case for war.“
Der Film von Regisseur Barry J. Hershey und den Produzenten Lewis D. Wheeler und Beth Sternheimer soll die größtmögliche Verbreitung finden. Es gibt ihn mit Untertiteln in 17 Sprachen. Man kann ihn sich einfach kostenlos online ansehen oder herunterladen oder für 10 Dollar als DVD kaufen.
Auf der Homepage zum Film finden sich nicht nur ausführliche Gegenüberstellungen der Behauptungen der amerikanischen Regierung mit den Tatsachen, sondern auch die vollständigen Transkripte der Ansprachen und Interviews, aus denen die Zitate im Film stammen, so dass sie sich im Kontext bewerten lassen.
„Leading To War“ zeigt in 72 Minuten, wie die amerikanische Regierung die Nation nicht fahrlässig, sondern systematisch in einen Krieg geführt hat, der nach konservativen Schätzungen 100.000 Menschenleben und allein die USA 500 Milliarden Dollar gekostet hat. Es ist wichtig zu wissen, wie sie das gemacht hat.
Quelle:
„leading to war“ von Stefan Niggemeier/