Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie zu meiner Ausstellung hier im Stadtmuseum im Spital in Crailsheim.
Mein Dank gilt Herrn Koch von den Crailsheimer Kunstfreunden & Frau Lindner vom
Museum Spital sowie allen Beteiligten für die Unterstützung während der Vorbereitung zu
dieser Ausstellung.
Ganz besonders danken allerdings möchte ich meinem Freund Bernhard Salzer, ohne
dessen Vermittlung diese Ausstellung überhaupt nicht zustande gekommen wäre.
Verehrte Gäste, was erzählt ein Maler, wenn er etwas über seine Bilder erzählt?
Weiß ein Maler etwa mehr zu erzählen über seine Bilder als ein Wissenschaftler, ein
Kunsthistoriker oder der Betrachter? Hat ein Maler weniger Fragen an seine Bilder als der Betrachter? Hat ein Maler etwa die Antworten auf alle Fragen?
Die Bilder die Sie, liebes Publikum, hier heute sehen – bis auf die drei Ausnahmen im
Foyer der Kapelle – stammen überwiegend aus den Jahren 2008 bis 2012. Sie entstanden
nach Fotografien – aus privaten Fotoalben, aus Zeitungen & Zeitschriften sowie aus dem
uferlosen Internet. Manche auch nach Skizzen vor dem Modell.
Nachdem ich jahrelang zeichnete nach der Natur, figürlich malte, abstrakt malte,
collagierte, kleine Objekte anfertigte, fotografierte und wieder nach der Natur zeichnete &
malte, überlegte ich mir eines Tages ein völlig neues Konzept:
Ein Mensch im Raum.
Ein Thema, auf das ich während des Aktzeichnens mit meinen Studenten an der
Hochschule stieß. In der Regel werden ja Akte auf einem weißen Blatt gezeichnet. Selten
sieht man den Raum oder eine Verbindung zum Raum oder dem Umfeld. Mir ist & war
allerdings in meiner Lehre diese Verbindung des Menschen zum Raum sehr wichtig. Egal,
ob er hässlich, scheinbar unwichtig oder langweilig ist. Wir alle bewegen uns in Räumen.
Ein scheinbar einfaches Thema.
Figürliche Malerei, figürliche Zeichnungen, Aquarelle. Porträts, Menschen, einzeln oder in
Gruppen, Menschen in Räumen oder im Freien, in der Stadt, in der Natur – und nicht vor
der Natur. Vor der Kamera posierende Menschen, oder einfach nur zufällig gesehene
Konstellationen.
Ich zeichnete & malte also nach Fotografien, variierte einzelne Bilder in unterschiedlichen
Techniken, ohne wissen zu wollen, wohin die Reise geht. Das Malen nach einem Foto
erlaubt es mir, ohne Umschweife & Überlegungen loszulegen. Klar war lediglich, dass die
Fotografie Ausgangsbasis & Anlass für das Bild ist. Der Prozess führte mich mich über die
Malerei weg vom Foto. Ich wollte weder etwas dazu dichten noch Geschichten erzählen.
Das ein oder andere weglassen oder reduzieren. Aber das Ergebnis sollte nur noch formal
an das Foto erinnern.
Meine Figuren scheinen sich oft aufzulösen, sie verschwimmen mit dem Hintergrund oder
sind nur noch als weiße Schemen wahrzunehmen. Möglicherweise verschwinden sie
gerade oder sie beginnen zu materialisieren, Gestalt zu werden oder Form anzunehmen.
Sie befinden sich in einem nicht eindeutigen Schwebezustand. Vielleicht ist es die
Beobachtung eines Prozesses der Veränderung & gleichzeitig ein Versuch über die
Unmöglichkeit, den Augenblick einfangen oder festhalten zu können.
Vielleicht auch der Versuch, diesen Moment ins Unendliche Auszudehnen.
Versuche. Immer wieder Versuche. Keine Behauptungen. Eher vorsichtige Fragen.
Fragen. Fragen an das Bild. Fragen zum Beispiel nach unserer Verortung?
Ähnlichkeit mit den porträtierten Vorlagen spielt nicht immer eine große Rolle. Im
Gegenteil: Es ist die räumliche Situation oder auch die Art & Weise, wie Menschen vor der
Kamera posieren, sich inszenieren. Die Zufälligkeit eines Schnappschusses. Das
Zusammenspiel von Figur & Raum.
Ich habe nichts gegen verzerrte Gesichtszüge, Fratzen oder Masken. Ich malträtiere oder
liebkose meine Protagonisten. Verfremdungen scheinen den Blick auf das wahre Gesicht
zu verstellen – mir scheint es aber manchmal, als legte ich überdeutlich eine verborgene
Seite offen.
Das Undeutliche so deutlich wie möglich.
Aber auch in diesem Fall meine ich nicht die Person auf dem Foto – ich versuche, zu einer
für mich allgemein gültigem Form oder Aussage zu gelangen.
Die Wahl der Technik ist entscheidend für das Ergebnis. Manche Bilder werden in
unterschiedlichen Variationen ausgelotet. Es scheint mir, als würde ich mich in Kreisen um
einen Kern bewegen, aber dieser Kern bleibt unscharf. Dieser Kern hat mit mir zu tun, mit
meinem Wesen. Aber auch mit Fragen an die Welt, die ich nur in Form von Bildern
formulieren kann. Aber das Wesentliche dieses Kern, das Wesentliche, bleibt wie hinter
einem Schleier verborgen.
Jede Arbeit ist angereichert mit meinen Erfahrungen, Wahrnehmungen, meiner
Wirklichkeit & meiner Sichtweise auf die Welt. Der Betrachter reichert diese Arbeit an mit
seinen Erfahrungen & Wahrnehmungen, mit seiner Wirklichkeit & Sichtweisen auf seine
Welt.
Die Bilder geben einerseits dem Betrachter die Möglichkeit eines Einblickes, wie ich die
Welt wahrnehme und über sie denke – gleichzeitig geben sie ihm eine Möglichkeit, sich
selbst wahrzunehmen. Ich habe wahrscheinlich ebenso viele Fragen an meine Bilder wie
Sie, die Betrachter.
Ich versuche mich & mein Handeln über meine Bilder zu verstehen & ich weiß, dass ich
nie endgültige Antworten von den Bildern erhalte. Aber das ich auch nicht wichtig. Was
bleibt, sowohl für mich als auch für den Betrachter, ist ein letzter Rest Unsicherheit.
Bruchstücke. Fragmente. Ahnungen.
Etwas, was die Bilder & die Protagonisten der Bilder – so hoffe ich – rätselhaft erscheinen
lässt. Rätselhaft & fremd. Im Wesentlichen.
Solange ich an meine Bildern Fragen stellen kann, werde ich malen oder zeichnen.
In diesem Zusammenhang machte ich mir vor einiger Zeit Gedanken über die Frage, was
ich eigentliche meine, wenn ich von Malerei spreche. Ich möchte Ihnen diese Gedanken
heute Abend nicht vorenthalten, stehen sie doch in einem direkten Zusammenhang mit
unseren Fragen nach dem Wesentlichen in den Bildern:
Über Malerei.
Manchmal, während des Arbeitens – ich sage jetzt nicht, während des Malens – gehen mir
Fragen durch den Kopf; zum Beispiel:
„Wann findet Malerei eigentlich statt?“ oder „Wann ist Malerei?“
Ist Malerei eine Tätigkeit? Ist Malerei das Ergebnis einer Tätigkeit? Ist schon die
Vorbereitung zu dieser Tätigkeit Malerei?
Ist das Nachdenken über diese Tätigkeit auch Malerei? Ist etwa das Erzählen über das
Nachdenken Malerei?
Ist das Nachdenken, Erzählen & Reden über das Ergebnis dieser Tätigkeit – also über ein
Bild – auch Malerei?
Welche Tätigkeit meinen wir überhaupt? Beginnt Malerei mit dem Zeitpunkt, wo der mit
Farbe getränkte Pinsel die Leinwand berührt & dauert so lange, bis sämtliche Farbe auf
der Leinwand verschmiert ist? Oder beginnt Malerei schon mit dem Mischen von Farbe auf
der Palette, auf einem Stück Pappe oder auf dem Fußboden vor der Leinwand? Oder mit
dem Nachdenken, mit dem Vordenken, mit dem Planen und Entwerfen, mit dem
Verwerfen?
Beim Reinigen der Pinsel denke ich nach. Ich sitze am Waschbecken, betrachte das
Ergebnis meiner Arbeit und während des Betrachtens male ich weiter – vor meinem
geistigen Auge – so sagt man. Ist das Malerei? Pinsel waschen, nachdenken?
Sind es die Pausen? Die Pausen zwischen dem Mischen der Farbe und dem Auftragen
der Farbe? In diesen Pausen denke ich auch über Malerei nach. Über Bilder. Über
gemalte Bilder – von mir gemalte Bilder. Oft sitze ich längere Zeit in meinem Malerstuhl im
Atelier – vor einem Bild oder der weißen Wand – und stelle mir Bilder vor, die ich malen
werde.
Aber auch Bilder, die andere vor mir gemalt haben. Andere wie Vermeer, Velázquez;
manchmal Munch. Auch Dürer. Aber nie über Kandinsky. Über Kandinskys Malerei denke
ich nicht nach. Auch der Surrealismus ist eine Strömung, durch die ich auch
geschwommen bin. Aber mittlerweile habe ich mich schon lange in anderen Einfüssen
getrocknet. Hockney zum Beispiel. Oder gestern. Gestern habe ich an David Hockneys
Malerei gedacht.
Oder ist es das Träumen von Bildern, nachts, während des Schlafens? Von noch nicht
gemalten Bildern. Von oft gesehenen Bildern. Ist Malerei das Träumen vor Bildern – also
während des Betrachtens von Bildern?
Träumen von nicht gemalten Bildern bedeutet für mich auch: Ich wünschte mir, dieses
oder jenes Bild so oder so zu malen; gelungen ist mir das aber noch nie.
Dann frage ich: „Warum malst Du nicht das, was Du in der Nacht vor Deinem geistigen
Auge gesehen hast?” Oft beginne ich ja mit der Absicht, mit dem Plan, ein erträumtes Bild
zu malen. Aber dann wird doch wieder alles anders. Ist das Unfähigkeit?
Eigentlich quäle ich mich, während der Pinsel über die Leinwand zieht, wenn ich die
weiche, noch feuchte Ölfarbe furche. Es ist ein quälender, ermüdender Prozess.
Außerdem ist es stinklangweilig. Gelegentlich sagt jemand: „Ich würde Dir gerne nur einen
Tag zugucken, während Du malst.“
Verrückt. Sollen lieber spazieren gehen mit der Geliebten oder mit den Kindern spielen in
der Zeit, die Leute.
Eben. Ich verbringe mehr Zeit damit, genau diesen Moment vorzubereiten: der Moment,
an dem ich den Pinsel über die Fläche der Leinwand führe. Und anschließend denke ich
darüber nach. Nachdenken kann lange dauern. Vielleicht male ich deswegen. Ein Bild
nach dem anderen. Weil ich von Bildern träume und über sie nachdenken kann.
Wenn ein Bild fertig ist, bin ich glücklich; aber nur dann. Wenn ich mich beim Betrachten
eines Bildes freue, ist es fertig. Ich nehme mir nie vor, das Bild fertig zu malen. Es ist das
Bild, was mich überrascht und sagt: „Hör auf! Ist gut! Mach Schluss! Geh spazieren mit der
Geliebten oder spiele mit den Kindern!“
Dann bin ich erleichtert und denke: „Wie gut, dass Du Dich so gequält hast!“
Es kommt vor, dass ich nicht auf das Bild höre und ein wenig zuviel male. Dann bin ich
einen Tag später damit beschäftigt, die Spuren des Malereiüberschusses mit den Mitteln
der Malerei zu beseitigen. Oder ich kratze alles ab, wasche alles mit Terpentin runter. War
das unnötige, nichtsnutzige Malerei?
Das ärgert mich. Ich weiß nicht, ob ich den Gedanken, der im Bild war, noch einmal fassen
kann. Nein – ich weiß, dass ich den Gedanken nie wieder fassen kann. Er ist weg.
Flüchtig. Einmal, für deine winzige Ewigkeit, war er im Bild und ich habe nicht gehört, nicht
gesehen, nicht nachgedacht, war zu schnell; zu schnell gemalt.
Ich habe den Gedanken mit Farbe zugeschmiert. Zugemalt. Besser, ich hätte vorher
gedacht, über den nächsten Schritt nachgedacht. Über Malerei nachgedacht. In Gedanken
gemalt. Gott sei Dank gibt es viele Gedanken. Viele winzige Ewigkeiten. Manche kann ich
dann doch festhalten. Das ist schön.
Möglicherweise liegen die Antworten dieser Fragen im Bild. Das Bild zeigt die Zeit, in der
Malerei stattgefunden hat. Und sie findet weiterhin statt.
Malerei ist eine Haltung. Wenn du Maler bist, malst du ständig. Das ist das praktische an
der Malerei. Egal, ob die Augen geschlossen sind oder geöffnet.
Dieses Jahr habe ich viel über Malerei nachgedacht.
Armin Rohr – Malerei und Zeichnung
Crailsheimer Kunstfreunde e.V.
13. Oktober – 18. November 2012
Poppige Pastellfarben kennzeichnen seine Ölbilder und dennoch erinnern die Arbeiten von Armin Rohr an geronnene Szenen aus David Lynch Filmen. Personen und Räume sind lediglich Silhouetten, Schemen, Andeutungen. „Gemälde sind wie Ausschnitte eines Vorgangs… Das Bild liegt auf der Lauer“ sagt Rohr von seinen Werken. Für den Betrachter scheint in den skizzenhaften Darstellungen selbst etwas zu lauern: Geschichten von Macht, menschlichen Abgründen, Einsamkeit.Armin Rohr hat Design, Malerei und Zeichnung in Saarbrücken studiert. Er lebt und arbeitet als freier Künstler in Saarbrücken.
Kommt alle, die Ihr mühselig & beladen seid. Ich will Euch erquicken!