Ohne Titel („Den Unbekannten“), 2013
Öl auf Leinwand, 50 x 50 cm
Vor langer Zeit – ich malte figürlich, wie man so sagt – gab ich meinen Bildern Titel wie: „Kopf” oder „Torso” oder „Selbstporträt”. Nicht immer sahen Köpfe wie Köpfe, Torsi wie Torsi oder Selbstportäts wie Selbstportäts aus. Damals.
Ich wollte die Bilder nicht mit Titeln überfrachten oder sie bedeutungsvoller machen, als sie waren.
Irgendwann lösten sich die Köpfe, Torsi & die Geschichten nach & nach auf. Es blieben die Farbe & die Struktur.
Die Titel waren entbehrlich geworden. Anscheinend. Das einzelne Bild war zwar wichtig, als Dokumentation eines Prozesses, aber es brauchte nicht unbedingt einen Namen. Ich malte von Bild zu Bild & machte mir keine Gedanken mehr um Titel.
Außerdem dachte ich mir, wenn in 3.700 Jahren bei Ausgrabungen mein Bilderlager entdeckt würde – was nützten dem geneigten Entdecker & Betrachter schon Titel? Die, davon ganz abgesehen, ja nirgends auf dem Bild zu sehen sind. Sind ja keine Etiketten an meinen Bildern.
Aber in Ausstellungen kann das zum Problem werden. Erstens braucht man ein griffiges Thema. Einen Slogan. Ein Ausstellungsbranding. Einfach nur „Malerei“ oder „Zeichnungen“ oder „Neue Malerei“ oder „Neue Zeichnungen“ ist zum Gähnen langweilig, auch wenn es den Kern der Sache sehr gut trifft.
Bildtitel sind eine Konvention, die vom Betrachter erbarmungslos eingefordert werden. Bildtitel wie „Landschaft mit rotem Baum“, sofern eine Landschaft mit rotem Baum abgebildet ist, sind aber meistens dämlich. Weil ja jeder die Landschaft mit rotem Baum erkennt.
„Metaphysische Landschaft mit glühendem Baum“ ist jetzt zwar auch nicht der Burner, aber immerhin. Wirft mehr Fragen auf. (Der Galerist sagte einmal: „Bilder ohne Titel verkaufen sich schlecht“).
Also Titel. Aber auch nicht unbedingt: „Monochrome Magentafläche trifft nervöses Ultramarin über verschlungenen schwarzen Linien an Grüngelb. Ein paar rote Tupfen hat es auch noch.“ Obwohl – da muss ich noch mal drüber nachdenken.
Ich machte mir Gedanken über meine Beobachtungen der Auflösung. Mir fielen Titel ein wie: „Selbstauflöser”, „Rot-Atmer”, „Selbstformer” oder „Grün-Euphorisch”. Später dann auch: „Am Ende des Schattentages” oder „Alltägliche Begrausamung”. Die Bilder befanden sich – für mich – in einem Zwischenstadium, ohne Anfang & ohne Ende. Farbbewegungen im Raum einer Endlosschleife. Die Titel sollten die Bilder weder beschreiben noch illustrieren.
Sie schufen eine eigene, weitere Ebene, eine eigene Realität in der Ausstellung. Was mir sehr gut gefiel. Manchmal hängte ich auch noch ein Blatt mit eigenen Gedanken, ähnlich Gedichten, zwischen die Bilder. Sowohl assoziativ taugliches als auch untaugliches.
Manche Titel fielen mir in den Schoß. Andere hatte ich verzweifelt gesucht & gefunden. Einige beschrieben die Arbeit, andere erzählten über sie. Wieder andere erzählten über ganz anderes. Manche waren ganz & gar eigen- & selbstständig.
Ich führte ein Titelbuch. Schöne Zeilen aus Büchern oder Zeitschriften notierte ich mir. Oder auch selbst Erfundenes. Gehörtes. Gesprochenes. Unerhörtes. Gedachtes.
Irgendwann begann ich, die Titel in Klammern zu schreiben. Am Anfang & Ende jeweils mit „Gänsefüßchen”. Vor die Klammer schrieb ich: „Ohne Titel”.
Titel & Bilder in einer Ausstellung. Das waren zwei Ebenen eines Gedanken.
Besonders gelungene Titel benutzte ich öfter & für mehrere Bilder. Es kam auch mal vor, dass ich eine Arbeit verkaufte & irgendwann in einer folgenden Ausstellung kam ein sichtlich verwirrtes Ehepaar auf mich zu mit der Frage, wieso das von ihnen erworbene Bild, also der Titel … sie hätten ja auch ein Bild mit dem Titel … also warum jenes Bild mit dem gleichen Titel wie dem ihren in der Ausstellung hing.
Ich wies darauf hin, dass ich eigentlich nur Bilder & keine Titel verkaufte. Titel wie „Kopf“ oder „Torso“ werden ja auch seit langer Zeit von viele Künstlern verwendet, ohne dass dies zu urheberrechtlichen Kollissionen kommt.
Zwischendurch blitzte der Gedanke auf, den Titel zusätzlich zum Bild zu verkaufen. Das heißt, es gäbe einen Preis für das Bild plus einen Preis für den Titel. Würde ja aus geschäftlicher Sicht Sinn machen. Aber dann würden sich wahrscheinlich die Leute aus Kostengründen sowieso nur für das Bild entscheiden. Und den Titel heimlich verwenden!
Bisher habe ich auch noch keine Titel ohne das Bild verkauft (Manche Leute verdienen Geld mit dem Verkauf von Titeln). Aber das ist was anderes.
In den letzten Jahren veränderte sich die Malerei. Menschen & Räume. Irgendwie wurde alles einfacher. Malerei & Titel. Meine Protagonisten tragen plötzlich Namen wie „Line“, „Emilie“, „Hans“. Oder „L.“, „E.“, „H.“. Oder „Bergbild“, „Vier Poser mit Insekten“, „Gruppe vor Idyll“.
Trotzdem überlege ich mir regelmäßig neue Titel für meine Arbeiten.
Das mit den Klammern & den Gänsefüßchen habe ich bis heute beibehalten. So sind die Protagonisten in den Bildern nicht die, die sie sind. Oder scheinen sie irgendwie zu sein. Was man am Namen erkennen kann, aber nicht unbedingt am Bild.
Titel sind nicht immer Schall & Rauch.
klaus h
21. April 2013 @ 07:17
Ja, krampfhaft einem Bild einen Titel zu geben ist so ziemlich das blödeste, was einem einfallen kann. Bei manchen Bildern finde ich den Titel einfach einen wesentlichen Bestandteil, genauso wie es unten rechts noch ein wenig Grün braucht, braucht es noch diesen einen Titel. "Vorerst ohne Titel" finde ich natürlich auch sehr schön. Mich hat auch immer eine Idee umtrieben, eine ganze Ausstellung zu machen (solo oder als Projekt mit anderen zusammen), wo alle Bilder denselben Titel tragen und durch die unterschiedlichen Zähler der bildnerischen Gestaltung im Verhältnis zum gemeinsamen Nenner des Titels zur Erhellung der Welt beigetragen wird. Steht als Idee noch im Raum…
klaus g
21. April 2013 @ 11:40
Sehr interessant, was du schreibst. Ich für meinen Teil habe in letzter Zeit zunehmend Spass an kruden, ironischen oder sonstwie die Malerei brechenden Titeln. Nach einer Gruppenausstellung mit achtzig Leuten kam irgendwann ein Paar auf mich zu und sagte, ich hätte ihren inoffiziellen Preis für den besten Titel gewonnen. Das war schon witzig. Ein weiteres Problem mit Titeln: Titel brauchen oft Zeit. Manchmal schreibe ich "vorerst ohne Titel", und irgendwann fällt der Groschen und es passt wie Pott und Deckel. Ein Titel gibt einem die Möglichkeit, andere Assoziationen zu wecken. Ein pathetisches Bild zB kann durch einen bewusst Bezug nehmenden, brechenden Titel in eine ganz andere Richtung gelenkt werden. Das finde ich spannend. Aber krampfhaft aus Prinzip jedem Bild einen Titel geben, das kann eigentlich nur in die Hose gehen.
Armin
21. April 2013 @ 21:04
„Titel brauchen oft Zeit“ – das ist oft auch mein Problem. Oft fällt bei mir der Groschen nach dem Hängen einer Ausstellung beim Tippen der Preisliste.
Wenn mir nichts einfällt, dann lieber auch kein Titel.
Unterschiedliche Bilder mehrerer Urheber mit einem gemeinsamen Titel sind natürliche eine schöne Idee für eine Ausstellung. Wir sollten irgendwann mal ein Konzept angehen & umsetzen!
indivisuell
22. April 2013 @ 05:47
Ich freue mich über Deine Gedankengänge zu diesem Thema, das mich gerade erst in seinen Anfängen berührt. Dennoch spüre ich bereits die volle Wucht dieses Dilemmas. Umso mehr begrüße ich Deine Gedanken und die der Vorkommentatoren, denn ihr drückt aus, was ich noch nicht in Worte fassen kann.
klaus h
22. April 2013 @ 06:36
"words don't come easy" war mal ein schlimmer Raufuntrunterdudelhit in den 80ern…aber ja, gerne: Konzept angehen und umsetzen!