Vor einiger Zeit erreichte mich eine Mail folgenden Inhalts:
Guten Tag Herr Rohr,
im Auftrag der Firma X suchen wie aktuell Künstler aus der Region, die sich mit abstrakter Malerei beschäftigen. In der stilvoll restaurierten Villa der Firma Y in Z könnte ein Künstler ca. 20 Bilder kostenfrei (für beide Seiten) für den Zeitraum von mindestens 2 Monaten ausstellen. Da diverse Geschäftsleute deutscher Großkonzerne in diesen Räumen verkehren, ist dies eine gute Gelegenheit, seine Werke einer wohlhabenden Zielgruppe zu präsentieren.
Wäre das für Sie von Interesse?
Vielen Dank und ein schönes Wochenende,
XXX
Worauf ich folgendes antwortete:
Sehr geehrter Herr XXX,
vielen Dank für Ihre Mail.
Wenn ich Ihre Anfrage richtig verstehe, geben Sie Bildenden Künstlern die Möglichkeit, „kostenfrei“ Bilder zu präsentieren?
Allerdings verstehe ich den Zusatz „kostenfrei (für beide Seiten)“ nicht ganz: Bedeutet dies, dass meine Kosten wie Fahrt, Besprechung, Konzeption einer Ausstellung, Transport der Werke (Leihwagen, Benzin), Versicherung, Arbeitszeiten für Installation & Aufbau sowie Deinstallation & Abbau usw. von irgend jemandem übernommen werden? Bedeutet dies, es gibt eine kleine Eröffnung (eine sog. Vernissage), mit kleinen Häppchen & gekühltem Prosecco, möglicherweise einer kleinen Ansprache, vielleicht ein wenig Pressearbeit im Vorfeld, eine schön gestaltete Einladungskarte nebst Plakat usw.?
Toll!
Unter diesen Bedingungen präsentiere ich natürlich sehr gerne! Dann wäre Ihre Anfrage tatsächlich von Interesse für mich.
Eine „kostenfreie (für beide Seiten)“ Präsentation – ich nenne es mal Ausstellung – gibt es nämlich nicht. Eine Ausstellung kostet immer Geld.
Auch, wenn es sich wie in diesem Fall, eher um das – Neudenglisch – Aufpimpen von Wänden & Räumen stilvoll restaurierter Villen handelt. Wir sprechen dann von Aufhübschen oder schlicht: Dekoration. Für die Dekoration ist in aller Regel ein Dekorateur oder Raumausstatter zuständig. Das ist ein Beruf, in dem man normalerweise Geld verdient. Der Dekorateur arbeitet nicht – wie Sie vielleicht vermuten – „kostenfrei (für beide Seiten)“.
Desweiteren stellte ich z. B. – käme es zu einer Dekoration (Zusammenarbeit) – in Rechnung: Eine Leihgebühr für die von mir zur Verfügung gestellten Werke. Oder wir verrechnen diese Leihgebühr mit dem Ankauf eines Werkes Ihrerseits oder der Firma Y am Ende der sog. Ausstellung.
Was bedeutet es eigentlich, dass in diesen Räumen „Geschäftsleute deutscher Großkonzerne verkehren“? Was für einen Sinn sollte es machen, meine Werke „einer wohlhabenden Zielgruppe“ zu präsentieren? Falls Sie damit meinen, wohlhabende Zielgruppen wären automatisch an Kunst interessiert, die in stilvoll restaurierten Villen hängt, so ist das spekulativ. Das ändert auch nichts an den Kosten der Dekoration.
Möglicherweise arbeiten Sie ja „kostenfrei (für beide Seiten)” für Firmen, deren Sitz sich in stilvoll restaurierter Villen befindet. Schließlich verkehren ja „Geschäftsleute deutscher Großkonzerne“ in diesen Räumen & sie können Ihre Arbeit „einer wohlhabenden Zielgruppe“ zu „präsentieren“.
Wenn der Zusatz „kostenfrei (für beide Seiten)“ allerdings meinen soll (was ich eher vermute) der Künstler möge seine Leistungen, Arbeit & Arbeiten umsonst zur Verfügung stellen, so muss ich Ihnen leider absagen. Wie oben bereits erläutert, entstehen bei einer sog. Ausstellung immer Kosten.
Über Angebote, in denen ich gefragt werde, ob ich unentgeltlich oder – „ kostenfrei (für beide Seiten)“ – „in stilvoll restaurierten Villen“ die Wände dekorieren möchte, bin ich mittlerweile sehr sehr verärgert.
Falls Sie ein ernhaftes Interesse an einer professionell organisierten Ausstellung haben, sende ich Ihnen gerne ein detailliertes, schriftliches Angebot.
Ich schlage Ihnen kostenfrei vor, dass Sie sich vielleicht an eine VHS in Ihrer Nähe wenden. Da gibt es sicherlich eine Menge Hobbykünstler & Pinselquäler, die – überzeugt von ihrem Genie – nur auf solche Gelegenheiten warten, „kostenfrei“ mit ihren Versuchen über die Malerei die Wände stilvoll restaurierter Villen zu verschandeln. Ob dies für das Image der Firma Y fördernd ist, wage ich zu bezweifeln.
Wenn Sie sicher gehen möchten & Quäliät suchen, lassen Sie sich einfach drei Angebote von Dekorateuren oder Raumausstattern in Ihrer Nähe zum Thema: „Dekoration in der stilvoll restaurierten Villa“ machen & vergleichen Sie.
Oder Sie fragen einen Kurator. Das ist ein Mensch, der Ausstellungen konzipiert & organisiert. Kuratoren findet man beispielsweise in Museen oder Kunstvereinen. Oder auf der Straße. Aber auch Kuratoren möchten mit Ihrer Tätigkeit Geld verdienen.
Dann könnte man vielleicht in Zusammenarbeit mit einer pfiffigen Werbeagentur ein langfristiges Ausstellungkonzept entwickeln, das sich in der Region sehen lassen kann. Kunst im Unternehmen – ein, vielleicht zwei Mal pro Jahr ein klug & spannend inszeniertes Aussellungsevent. Das verschafft Aufmerksamkeit & fördert das Image.
Keine neue Idee. Diverse Geschäftsleute deutscher Großkonzerne kennen sowas seit langem.
So unglaublich es klingt: Dieses Ausstellungskonzept können Sie sich sogar in barer Münze bezahlen lassen! Das ist Denkarbeit, also eine Leistung!
Manchmal findet man, so man sucht, bestimmt einen begabten, selbstausbeuterisch veranlagten & noch nicht entdeckten Künstlerkollegen, der in der Hoffnung auf einen Verkauf an Geschäftsleute deutscher Großkonzerne & wohlhabende Zielgruppen seine Leistungen, Arbeit & Bilder „kostenfrei“ zur Verfügung stellt.
(Mit der gehörigen Portion Frechheit können Sie oder Ihr Kunde dem Künstler die Räume auch vermieten – auch ein funktionierendes Geschäftsmodell!)
In diesem Fall möchte ich bitten, dem Kollegen diese meine Antwort-Mail zusammen & fairerweise mit Ihrer Anfrage vorzulegen …
Mit freundlichem Gruß
Armin Rohr
Anonym
28. Januar 2011 @ 14:46
Ich vermute, eine Ausstellung ist nicht zustande gekommen 😉
Armin
7. Februar 2011 @ 07:48
Leider nein …
maluigi
8. März 2011 @ 20:46
einfach genial…..
Armin
11. März 2011 @ 06:12
Nicht genial – eher notwendig …
Anonym
9. April 2011 @ 13:47
Super reagiert, Respekt!
Til
11. Juni 2011 @ 14:32
Ich finde es – nicht nur in diesem Fall – schade den Namen der "anfragenden" Firma nicht zu nennen. – Genauso wie man von seriösen FIrmen positive Kommunikationsarbeit schätzen darf, sollte man auch öffentlich solch negative missbilligen. – Ich habe nichts dagegen schon im Vorfeld zu wissen mit was für abzockern ich es zu tun haben könnte. – Dennoch Danke für diese Geschichte, die mit Sicherheit -leider- tagtäglich, ganz besonders in Deutschland! – viel zu oft vorkommt.
Armin
12. Juni 2011 @ 10:54
Nach einer Abmahnung sah ich mich gezwungen, Namen & Links herauszunehmen.
Was auch nicht weiter schlimm ist.
Es ändert nichts an der Tatsache.
Nachdem die Diskussion & die Kommentare explodierten & immer mehr an der Sache vorbeigingen, löschte ich sogar den Ursprungspost irgendwann.
Aus aktuellem Anlass aber (einer der üblichen Anfragen) postete ich die bereinigte Version der Anfrage & meiner Antwort wieder.
Ich fand es wichtig (mit der möglicherweise etwas ausufernden & überspitzten Reaktion) etwas anzustoßen.
Anonym
4. Oktober 2011 @ 07:10
Ich find das ziemlich arrogant.
Armin
5. Oktober 2011 @ 14:09
Als arrogant würde ich das nicht bezeichnen.
Eher unverschämt. Unverfroren. Aber Anfragen dieser Art sterben nicht aus.
Liegt nur an den Künstlern, den Selbstausbeutungsspezialisten.
Anonym
8. Oktober 2011 @ 08:04
Ich meinte deine Reaktion. Gibt bestimmt viele Künstler, die froh für so ein Angebot wären
Armin
9. Oktober 2011 @ 06:25
„So ein Angebot“ gibt es wie Sand am Meer.
Dürfen sich also weiterhin viele darüber freuen & ihre Bilder diversen Geschäftsleute deutscher Großkonzerne präsentieren.
Oder beim Arzt oder Anwalt um die Ecke.
Susanne Haun
21. April 2012 @ 17:58
Klasse, Armin, du sprichst mir aus der Seele.
Ich bin auch verärgert über
diese "sogenannten" kostenlosen Ausstellungen und du hast recht, die gibt es wie Sand am Meer diese unseriösen Angebote.
Anonym, ich kenne keine vielen Künstler, die froh über solch ein Angebot wären.
Birgit Herzberg-Jochum
21. April 2012 @ 20:15
Hallo in die Runde. Danke für den Post. So ist es immer wieder. Gerade wurde ich auch wieder gefragt, ob ich nicht Lust hätte meine Arbeiten in einer Kanzlei zu präsentieren. Auf mein Verneinen wurde nachgefragt -"wieso, da sist doch eine super chance?!" – auf meine gegenfrage, wer mir das leihauto, die fahrtkosten, die Druckkosten die Einladungskarten, die Versicherung, die Pressearbeit bezahle, kam dann nur ein – "ach so?, dann eben nicht"…
Armin
23. April 2012 @ 09:45
Grundsätzlich sollte man Dekoration für lau ablehnen. Immer. Und überall.
Es geht auch nicht um die Frage, ob ich unter Umständen vielleicht zufällig ein Bild verkaufe. Es geht um die Fragen, welche Leistungen & welches Know-how bringe ich mit? Was sind diese Leistungen wert?`
Vom ersten Gesprächstermin über die Konzeption einer Ausstellung, Transport, eventuell die Bereitstellung von Bilderrahmen, Zeit, die ich damit verbringe, die Ausstellung aufzubauen, bin ich zur Vernissage persönlich anwesend? Die Nägel, die ich im Baumarkt kaufe, die Luftpolsterfolie, das Klebeband?
Wer zahlt die Versicherung? Den Druck der Einladungskarten?
Die Liste ist endlos fortzusetzen. Es geht also überhaupt nicht um das Problem eines fiktiven Verkaufes irgendwann während einer Ausstellung. Ein Bild zu verkaufen ist in diesem Fall ein Zusatzgeschäft, ein Bonbon.
Es stellt sich einfach die Frage, warum Künstler ständig Leistungen erbringen sollen, für die andere Menschen selbstverständlich bezahlt werden, über die Künstler aber noch nicht einmal darüber nachdenken.
Einen Nagel & einen Hammer zu kaufen, den Nagel in einer bestimmten Höhe mit dem Hammer in die Wand zu schlagen & daran ein Bild zu hängen, ist eine Arbeit. Und die gedankliche Vorarbeit, warum ich genau an diese Stelle im Raum jene Arbeit hänge, ist eine Arbeit.
Dabei haben wir die größte Vorleistung, nämlich die Produktion der Bilder, noch gar nicht erwähnt …
Es ist mir eine große Freude, Ausstellungen dieser Art abzusagen & die so gewonnene Lebenszeit den schönen Dingen des Lebens zu widmen.
Zum Beispiel der Malerei.
Anonym
11. April 2013 @ 08:10
Deine Reaktion finde ich sehr gut, Armin. Die Leute glauben teilweise wirklich, dass sie dem Künstler „entgegenkommen”, wenn er seine Werke
„kostenfrei” ausstellen darf. Ich hätte wahrscheinlich ein Paket mit Künstlerscheiße (vom Künstler signiert und datiert) zur Dekoration der Villa geschickt.
Beste Grüße
Thomas Roessler
Armin
11. April 2013 @ 17:08
Rabiat, aber als künstlerisches Projekt durchaus überdenkenswert …
JM.Schlorke
11. April 2013 @ 08:47
es scheint inzwischen eine weit verbreitete unsitte zu sein, das mit diesem "wir können/wollen nichts zahlen, ist aber eine ach so tolle referenz".
aber klar doch…
ich frage mich immer, wie diese firmen, die mit sicherheit auch nicht umsonst arbeiten, auf die idee kommen, man selbst könne dies tun. glauben die allen ernstes, dass man dummer, notleidender "esel" ihnen ein komplettes ausstellungskonzept in einer stilvoll restaurierten villa (moderne firmenzentrale mit zahlungskräftigem besucherverkehr o.ä. wird auch immer wieder gerne genommen) für lau auf die beine stellt, nur weil sie mit der "möhre" namens geschäftsleute deutscher großkonzerne vor der nase herumwedeln?
mich regen solche geschichten in allen ihren erscheinungsformen immer wieder kriminell auf (bei mir geht es dann eher um fotos, die für ein extrem repräsentatives belegexemplar angefragt werden, natürlich honorarfrei, weil ist ja kein budget da) und ich finde es extrem gut, dass immer mehr leute es publik machen und drüber schreiben. so wie in diesem fall.
gut so, sollte es viel öfter geben!
ganz aus der welt zu schaffen, ist diese landplage sicher nicht, auch weil es immer wieder leute gibt, die darauf einsteigen. aber vielleicht senkt es die hemmschwelle auf ein erträgliches maß, wenn mit einer so wohlformulierten absage zu rechnen ist und dass man öffentlich blossgestellt wird.
ist nicht ganz das selbe wie das oben erwähnte beispiel, aber ich finde nach wie vor die antwort von judith holofernes von den helden sowas von großartig. sie nennt ross und reiter, das ist so erfrischend ehrlich und spricht mir aus der seele. lesenswert: http://www.wirsindhelden.de/2011/02/1069/
Armin
11. April 2013 @ 17:16
Selbsterniedrigung & Selbstausbeutung in kreativen & künstlerischen Berufen sind, so scheint’s, unausrottbare Geiseln. Aber selbst kleinere Kunstvereine oder städtische Galerien bieten mitunter Ausstelllungen unter fragwürdigen Bedingungen an.
Leider.
Danke für den Hinweis zum Kommentar von Judith Holofernes, ging ja damals durch die Medien.